Dr. Alain Bombard - im Gummiboot über den Atlantik

Portraits berühmter Einhandsegler und ihrer Schiffe
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Markus
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Dr. Alain Bombard - im Gummiboot über den Atlantik

Beitrag von Markus »

[align=center][glow=orange]Dr. Alain Bombard - im Gummiboot über den Atlantik[/glow]
© Jean Merrien[/align]

War ein solcher Versuch nicht Wahnsinn? Allein über den Atlantik in einem aufblasbaren Gummiboot von 4,60 m Länge, einem Serienmodell, das er auf den Namen L'Hérétique taufte. Und das ohne Lebensmittel, ohne Trinkwasser. Das Schlauchboot besaß eine kleine Kanubesegelung und konnte sicher bestenfalls nur vor raumem Wind segeln oder, dank seiner beiden Seitenschwerter, allerhöchstens bei Wind von dwars. Aber nur sehr langsam - drei Knoten.
Unten hatte es zwischen den beiden Wülsten nur ein einfaches mit Latten verstärktes Tuch, das sämtliche Bewegungen der See auf den Insassen
übertrug. Schließlich bot das Schlauchboot überhaupt keinen Schutz und bei etwas Seegang konnte man noch nicht einmal aufrecht drin stehen.

Was Dr. Bombard vorschwebte, war folgendes:
  1. Auf See zu überleben, selbst wenn das Material nicht hält.
  2. Künftigen Schiffbrüchigen Zuversicht zu geben, selbst wenn sie nicht so
    physische Kraftmenschen sein würden wie Poon Lim.
"Jedes Jahr", so führte er aus, "verlieren 200.000 Menschen auf See das Leben. 150.000 durch Landeinwirkung, 50.000 bis 55.000 ertrinken. Für diese 155.000 kann man nichts tun. Aber von den restlichen 45.000, die in die Rettungsboote steigen, kommt ein großer Teil um, weil die Suchaktionen zu früh abgebrochen werden. Man muß ihnen beweisen, daß sie selbst wieder Land erreichen können."

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Dramatische Beispiele in Kriegszeiten haben gezeigt, daß Menschen in Schlauchrettungsbooten sehr lange Zeit aushalten können, sogar bei jedem Wetter. Man weiß aber auch, daß sie durch Hunger und Durst umkommen, vor allem jedoch durch Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
Dr. Bombard behauptete - und er hat es bewiesen -, daß man auf See immer vom Fischen leben kann. Man kann sich von rohem Fisch ernähren, von Plankton, diesem dem unbewaffneten Auge unsichtbaren oder kaum wahrnehmbaren Gel& marine", das aus den verschiedensten Tiersorten besteht, aus Krebstieren, Schalentieren, Larven, Algen USW., das nach Langusten oder Kaviar schmeckt oder nach widerlichem Leim, das aber sehr wirksam ist gegen Skorbut. Daß man seinen Durst drei oder vier Tage lang mit Seewasser stillen kann, ein Zeitraum, der ausreicht, um einen Fisch zu fangen, vorausgesetzt jedoch, daß die tägliche Dosis einen Liter nicht überschreitet und man diese Menge von Anfang an nur in kleinen Teilmengen zu sich nimmt. Dazu stellt das physiologische Serum ein hinreichendes Getränk dar, das man aus ausgepreßten Fischen gewinnt. Schließlich ist es auch möglich, Regenwasser aufzufangen, selbst in der Passatregion.

An Widerspruch fehlte es nicht. Da gab es die Meinung, daß bestimmte zentralozeanische Zonen überhaupt keinen Fischbestand haben oder nur große und angriffslustige Fische (wie z. B. Haie). Man konnte sich schlecht vorstellen, wie sie von einem Schlauchboot aus gefangen und getötet werden sollten, das viel kleiner ist als die Fische selbst. An Doraden (Meerbrassen) war allerdings nie Mangel.

Vom seemännischen Standpunkt war dieses Unternehmen haarsträubend wegen des völligen Mangels an Komfort und Stabilität dieses Fahrzeuges, das, wie die Erfahrung seit langem zeigte, zwar seetüchtig, aber absolut unbequem ist. Wohin soll man etwas stauen, wie vor Feuchtigkeit
schützen? Wie kann man sich selbst davon bewahren? Wie schlafen? Wir, die wir uns schon beklagen, wenn das Deck undicht ist ...

Zudem war Dr. Bombard früher tuberkulosekrank gewesen und hatte ein Leberleiden. Der junge Internist, 27 Jahre alt, verheiratet und Papa, beachtlicher Musiker, hatte viele Jahre im Sanatorium zugebracht. Man muß annehmen, daß er gut gepflegt wurde, denn bei zwei Versuchen wäre es ihm beinahe gelungen, den Armelkanal schwimmend zu durchqueren, und die hier geschilderte überfahrt, während der er 20 Kilo abnahm, hat er lebend überstanden.
Am meisten litt er unter der Feuchtigkeit - seine Kleidungsstücke zerrissen wie Papier - und dem Nichtgehenkönnen, was seine Beine stark schwächte. Dazu kam noch die überhöhte Schwäche durch den Verzicht auf Lebensmittel, besonders des Zuckers, der im Fisch nur in ganz geringen Mengen vorhanden ist. Hautinfektionen und blutige Diarrhoe haben ihn stark mitgenommen.

Seit Ende 1951 arbeitete er im Laboratorium des Ozeanischen Instituts in Monaco. Nachdem er seine Theorien aufgestellt hatte, dachte er, daß es nur eine Möglichkeit gäbe, sie zur Anwendung zu bringen: Er mußte sie persönlich unter Beweis stellen.

Im Mittelmeer fand er die größten Schwierigkeiten vor, weil es sehr fischarm ist, so daß sein anfänglicher Begleiter, der Panamese Jack Palmer, der einhand eine Mittelmeerrundfahrt gemacht hatte, ihn in Tanger wieder verließ.

Nachdem Bombard die Grundbegriffe der Navigation gelernt hatte, setzte er die Reise allein fort, ohne Radiosendeanlage.
Die Etappe Casablanca - Las Palmas schaffte er in 11 Tagen (24.8. bis 3.9.), immerhin gar nicht so langsam. Am 19. Oktober lief er von Las Palmas wieder aus, wurde von einem Flugzeug ausgemacht und später, am 10. Dezember, das heißt nach 53 Tagen, durch den britischen Frachter Arakara auf 15 Grad 38'N und 49'W angetroffen, also 700 Meilen vor den Antillen. Die angebotenen Lebensmittel wies er zurück und begnügte sich mit einer warmen Mahlzeit, die übrigens die fatale Wirkung hatte, daß er sich nur schlecht wieder an Fisch gewöhnen konnte. Am 23. Dezember ging er in der Nähe von Speighatown (Barbados), einer der britischen Antilleninseln, an Land. In 65 Tagen hatte er es geschafft.

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Dr. Bombard hat sein eigenes Befinden im Verlauf der Reise wissenschaftlich genau überprüft und zahlreiche Analysen auf seinen Eiweißgehalt vorgenommen. Darauf baute er eine medizinische These auf.
Der Leser steht fassungslos vor dem Mut, den der Arzt aufbringen mußte, um wieder in sein Fahrzeug zu steigen, nachdem er eine komfortable Episode (Dusche, warmes Essen) an Bord der Arakaka erlebt hatte.
Man bot ihm an, an Bord zu bleiben, und er war auch schon drauf und dran, anzunehmen, aber einige Sekunden später lehnte er ab. Trotz der hinter ihm liegenden 53 Tage, die wirklich ausgereicht hätten, um die Richtigkeit seiner Theorie zu bezeugen, dachte er, daß die Beweiskraft seiner These anderenfalls weniger groß sei. Aber wie er mit seinem netten, bescheidenen Lächeln sagte (in der Regel sind Einhandsegler immer nette Kerle), "vor allem sah ich im Geiste die Mienen gewisser Fahrensleute in Boulogne". Da haben wir es: Bombard war Seemann. Er legte Wert auf die Meinung der Seeleute, er gehörte zu ihnen.
Ein Journalist wagte es später, ihm die Mahlzeit auf der Arakaka vorzuhalten. Man sollte diesen Kerl nehmen und 53 Tage auf einer Boje schwimmen lassen, als Nahrung nur Fisch, und ihm nach 12 Tagen den Geruch einer warmen Mahlzeit in die Nase steigen lassen!

Wir hatten uns geirrt, als wir annahmen, Bombard sei eine reine Landratte. Tatsächlich hatte er auf der Hochzeitsreise seine junge Frau unter Segel vom Kanal nach Spanien geführt. Genau wie Gerbault hat auch Bombard bretonisches Blut in den Adern und in der Bretagne hat er auch das Segeln gelernt. Er wußte also genau, was er tat, als er sich auf dieses lange und sorgfältig vorbereitete Unternehmen einließ.
Ihm blieb das Pech, im Passatgürtel in eine Flaute zu geraten, die 27 Tage anhielt, was sehr selten vorkommt. Er erlebte auch schlechtes Wetter, und sein Schlauchboot schlug oft voll.

Wie jeder, beging auch er eine Unvorsichtigkeit, die dem Leser einen Schauer über den Rücken jagt. Er badete und ließ L'Hérétique mit geborgenen Segeln vor einer Art Fallschirmtreibanker liegen. Der Anker fiel zusammen, das Schlauchboot nahm Fahrt auf, und der Crawlmeister brauchte einige Zeit, ehe er es wieder fassen konnte. Das gelang ihm aber auch nur, weil der Anker plötzlich wieder hielt. Brr ... Unsere Bewunderung ist grenzenlos.

Bleibt noch nachzutragen, daß dieses Beispiel keineswegs zur freiwilligen Wiederholung empfohlen wird. Das wäre ja genau das Gegenteil von dem, was Dr. Bombard sich zum Ziel gesetzt hat. Es wäre ein Nacheifern ohne wissenschaftliches Ziel und ohne wissenschaftliche Kompetenz. Ihr jungen Tollköpfe, glaubt ja nicht, daß ihr mit einem Schlauchboot eine Weltumsegelung unternehmen könnt! jede Nachahmung wäre bloß grotesk, und euer Tod verdiente nur ein Achselzucken.
Im übrigen macht es die große Zahl der Alleinsegler, die heute die Ozeane bereits in Kiellinie überqueren, unmöglich, von ihren Geschicken zu berichten. So beschränken wir uns im Anhang auf den Versuch, eine Liste derer aufzustellen, die Erfolg hatten und bekannt wurden. Sicher fehlen darin eine ganze Menge.
Solche überfahrten sind nicht mehr originell. Wer sie heute noch unternimmt, sprengt nicht mehr den Rahmen des Herkömmlichen. Um extravagant zu sein, muß man schon anderes vorzeigen.

aus: Jean Merrien - Sie segelten allein

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und dazu das Buch von Alain Bombard: Im Schlauchboot über den Atlantik
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